Ein
Gewindetubus-Mikroskop nach Hartsoeker
Prof.
OStR Erich Steiner
Der niederländische
Physiker Nicolaas Hartsoeker (1656-1725) beschrieb im Jahre 1694 erstmals
ein Gewindetubus-Mikroskop, das im angelsächsischen Sprachraum auch
als „Screw-Barrel-Microscope“ bezeichnet wird.
Der Körper dieses Mikroskops besteht aus einer kleinen Röhre
mit einem Ring an dem einen Ende und einer Platte mit der Vergrößerungslinse
am anderen. Auf der Innenseite der Platte liegen eine Druckfeder und darüber
zwei dünne, in der Mitte durchbohrte Scheiben, zwischen die der Schieber
mit den Präparaten zu liegen kommt. Manchmal ist noch eine dritte
durchbohrte Scheibe mit einer quer verlaufenden Wölbung vorhanden,
damit man auch eine mit Wasser gefüllte Röhre einklemmen kann.
In den Ring wird ein Rohr, die „Tonne“ oder das „Barrel“,
geschraubt, das außen auf seiner gesamten Länge mit einem Gewinde
versehen ist. Dieses Rohr drückt beim Einschrauben zur Scharfeinstellung
gegen die beiden Scheiben mit dem dazwischen befindlichen Präparateschieber
und auf die Druckfeder. Das äußere Ende des “Barrels“
ist mit einer Beleuchtungslinse versehen, deren Brennweite ungefähr
der Länge des „Barrels“ entspricht. Der Körper des
Instruments wird an einem gedrechselten Elfenbeingriff mit der Hand gegen
das Licht für Durchlichtuntersuchungen gehalten (Abb. 1). Es ist
ein sogenanntes „Einfaches Mikroskop“, da es für die
Vergrößerung nur eine „Lupe“ verwendet. Bei einem
„Zusammengesetzten Mikroskop“ sind am unteren Ende eines Tubus
eine Objektiv- bzw. am oberen Ende eine Okularlinse montiert.
Physikalisch hingegen muss festgehalten werden, dass das „Zusammengesetzte
Mikroskop“, das wahrscheinlich zuerst erfunden wurde, bis etwa zur
Mitte des 18. Jahrhunderts dem „Einfachen Mikroskop“ unterlegen
war. Ursachen waren Schwierigkeiten bei der Zentrierung der Linsen und
andererseits in der nicht behobenen Chromasie sowie der verwendeten Materialien
(Leder, Holz, Pappe). Es darf daher nicht wundern, dass sehr bedeutende
Mikroskopiker der damaligen Zeit wie Anthony van Leeuvenhoek (Niederländer
aus Delft, Privatgelehrter, 1632-1723), Carlo Antonio Tortona (Italiener,
1640-1700) und andere dem „Einfachen Mikroskop“ den Vorzug
gaben.
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Abb.
1: Mikroskop für Durchlichtuntersuchungen |
Für Auflichtuntersuchungen
ist manchmal auch ein Messing-Verbindungsstück vorhanden in das die
Lupenobjektive eingeschraubt werden können (Abb. 2 und 3).
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Abb.
2: Mikroskop für Auflichtuntersuchungen |
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Abb. 3: Mikroskop
für Auflichtuntersuchungen |
Bei den kleinsten
Linsen handelt es sich um Glaskügelchen.
1702 griff James Wilson (1655-1730) diese Idee auf und veröffentlichte
die Beschreibung eines gegenüber Hartsoeker nur leicht abgeänderten
Mikroskops, welches sich daraufhin in Großbritannien großer
Beliebtheit erfreute und so heute irrigerweise Wilson nicht nur die Verbreitung,
sondern auch die Erfindung dieses Mikroskops zugeschrieben wird. Wilson
beanspruchte aber nie die Priorität an dieser Erfindung für
sich selbst.
Das „Screw-Barrel-Mikroskop“ wurde in großen Stückzahlen
in ganz Europa, darunter auch in Deutschland von vielen Werkstätten
nachgebaut. Es war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der
mit Abstand beliebteste Mikroskop-Typ.
Durch einen Zufall war es mir möglich so ein sehr gut erhaltenes
und vollständiges Mikroskop, das um 1730 in London gebaut wurde (Edmund
Culpeper zugeschrie-ben), zu untersuchen.
 |
Abb.
4: Mikroskop mit Zubehör in Holzkassette |
Das Gerät ist
vollständig aus Messing gefertigt mit original Zaponierung, in einer
mit schwarzer Fischhaut überzogenen und mit grünem Samt gefütterten
Holzkassette (L x B x H; 18 x 7,4 x 5,2 cm) mit Druckverschluss.
Die technischen Daten
Stativ:
nicht vorhanden, da das Gerät mittels des gedrechselten Elfenbeingriffs
gegen das Licht gehalten wird
Tubus Gewindetubus; „Barrel-Länge“ mit Beleuchtungslinse:
4 cm; Gesamtlänge
des Gerätes bei Durchlicht-Scharfstellung mit Lupenobjektiv Nr. 6:
6,8 cm
Trieb: Grobtrieb (Gewinde)
Tisch: abgewandelter „Bonani-Tisch“, mit
gefederter Andruckplatte. Es können sowohl Präparateschieber-Untersuchungen
als auch Untersuchungen mit Wasser gefüllten Glasröhrchen durchgeführt
werden. Beleuchtungsapparat: schwache Sammellinse am Ende des Gewindetubus.
Optik: 6 nichtachromatische Lupenobjektive (Nr. 1-6,
Nr. 1-4 mit rot angefärbter Elfenbein-Schutzkappe
1 anschraubbare 10fache Lupe aus dunkelbraun angefärbtem Elfenbein.
Das Zubehör
Das Gerät
verfügt über reichhaltiges Zubehör (Abb. 5):
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Abb.
5: Mikroskop-Zubehör |
1 gedrechselter Elfenbeingriff
1 Messing-Verbindungsstück für Auflichtuntersuchungen (Abb.
2 und 3)
1 Messing-Objekthalter mit Haltepinzette und Objektnadel für Auflichtuntersuchungen
1 runder Messing-Objekttisch mit weißer und schwarzer Seite zum
Aufstecken auf die Objektnadel für Auflichtuntersuchungen (Abb. 2
und 3)
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Abb.
2: Mikroskop für Auflichtuntersuchungen |
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Abb. 3: Mikroskop
für Auflichtuntersuchungen |
8 Elfenbein-Objektträger (Nr. 1-8) mit je 4 Öffnungen in schwarzem
Pappendeckel- Etui
1 Messing-Objektträger mit 4 Öffnungen und Glasplatte in Messing-Halterung
1 Elfenbeindöschen mit Glimmerplättchen und Sprengringen
5 Glasröhrchen (kleine Eprouvetten mit 5, 7, 9, 11 und 14 mm Aussendurchmesser)
für Untersuchungen mit Wasser
Vergrößerungsbestimmungen
Die Lupenobjektiv-Vergrößerungen
(V) wurden, nachdem die Brennweiten (f; in mm) der Lupenobjektive bestimmt
worden waren, nach der Formel für Lupenvergrößerungen
berechnet.
V = 250mm : f
Lupenobjektiv-Nummer |
Lupenobjektiv-Vergrößerungen |
Brennweiten
(in mm) |
1 |
227x |
1,1 |
2 |
100x |
2,5 |
3 |
75x |
3,3 |
4 |
53x |
4,7 |
5 |
30x |
8,3 |
6 |
20x |
12,5 |
bzw.
Lupe |
10x |
25,00 |
Die Präparate
Bei
den Objekten handelt es sich um Trockenpräparate, die zwischen zwei
Glimmer-plättchen mit einem Sprengring fixiert sind (Abb. 6 und 7).
Trotz ihres hohen Alters sind die Objekte noch in verhältnismäßig
gutem Zustand erhalten. Es sind in jedem Präparat - auch in den Leerstellen
- feinste Pilzfäden vorhanden, die sich eben im Lauf der Zeit entwickelt
haben.
Jeder der 8 Elfenbein-Objektträger hat eine Länge von 69 mm,
eine Breite von 12mm und eine durchschnittliche Dicke von 2 mm. Die Öffnungen
besitzen auf der einen Seite einen Durchmesser von 7mm und auf der anderen
Seite, wo sich der Sprengring befindet, einen Durchmesser von 9 mm.
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Abb.
6: Ober- und Unterseite der Elfenbein-Objektträger |
Bei einigen Präparaten
war es nicht mehr möglich fest zu stellen, um welches Objekt es sich
handeln soll (mit „ND“ bezeichnet).
 |
Abb.
7: Schema eines Elfenbein-Objektträgers |
Elfenbein-Objektträger
L = Leerstelle
ND = nicht definierbar
Objektivträger
- Nummer |
Position
in Objektträger |
Objekt |
Nr.
1: |
1
|
Wurmfarn-Sporangien
(Dryopteris filix mas) |
|
2 |
keimende Pollen (Milchstern oder Hyazinthe) |
|
3 |
Kürbis-Pollen
(Cucurbita pepo) |
|
4
|
Schmetterlingsschuppen
(Nachtfalter) |
Nr.
2: |
1
|
Pflanzenfasern |
|
2 |
Katzenhaare |
|
3 |
Menschenhaare |
|
4 |
Maushaare |
Nr.
3: |
1 |
ND |
|
2 |
Fischschuppe |
|
3 |
Fischschuppen
(Seezunge, Solea sp.) |
|
4 |
Fischschuppe (Barsch, Perca sp.) |
Nr.
4: |
1
|
Holundermark
(Sambucus nigra) |
|
2 |
Badeschwamm-Skelett
(Spongia officinalis) |
|
3 |
Flaschenkork-Zellen
(Phellodendron sp.) |
|
4
|
Sternparenchym
(Juncus effusus, Flatter-Binse) |
Nr.
5: |
1 |
Schmetterlingsflügel
(Tagfalter) |
|
2 |
Schmetterlings-Fühler
(Nachtfalter) |
|
3 |
Fliegen-Flügel |
|
4 |
Insektenkopf-Vorderteil
mit Facetten- und Punktaugen |
Nr.
6: |
1 |
Raupen-Hinterleib |
|
2 |
Spinnen-Körper |
|
3 |
Kopflaus
(Pediculus capitis) |
|
4 |
Mohn-Körner (Papaver sp.) |
Nr.
7: |
1 |
L |
|
2 |
Milben |
|
3 |
L |
|
4 |
L |
Nr.
8: |
1 |
Schmetterlingsflügel
(Tagfalter) |
|
2 |
ND |
|
3 |
L |
|
4 |
Spinnentiere |
Abschließend
kann nur gesagt werden, dass die mechanische Ausführung dieses Gerätes
beziehungsweise die optischen Leistungen der damaligen Zeit entsprechend
höchstes Lob verdienen.
Literaturhinweise
Gerlach, D.: Geschichte
der Mikroskopie. Verlag Harri Deutsch, Frankfurt am Main 2009
Hemmerling, K., Feustel,
H.: Historische Mikroskope. Katalog des Hessischen Landesmuseums Nr. 13,
Darmstadt 1983
Martin, H. de, Martin,
W. de: Vier Jahrhunderte Mikroskop. Weilburg Verlag, Wiener Neustadt 1983
Moe, H.: The Story
of the Microscope. Rhodos international science and art publishers, Denmark
2004
Patzak, B. (Hrsg.),
Steiner, E., Schulz, P.: Die Mikroskopesammlung des Pathologisch-Anatomischen
Bundesmuseums im Wiener Narrenturm. Pathologisch Anatomisches Bundesmuseum
Wien, Wien 2008
Weber-Unger, S.,
Mappes, T.: Bedeutende Mikroskope 1680 bis 1860. Wien 200 |