Prof. OStR Erich Steiner und Pof. OStR Mag. Peter Schulz
Unser heutiges wissenschaftliches Weltbild beruht zu einem bedeutenden
Teil auf Entdeckungen, die mit Hilfe des Mikroskops gemacht wurden. Dies
gilt für den Feinbau der belebten, wie auch der unbelebten Natur.
Die Lichtmikroskopie hat sich in den letzten vier Jahrhunderten nach einer
langen und mühevollen Aufwärtsentwicklung zu einem überragenden
Hilfsmittel in Medizin und Technik entwickelt. Erst in der zweiten Hälfte
unseres Jahrhunderts wurde ihre Bedeutung etwas durch den Einsatz von
Elektronenmikroskopen geschmälert, welche die Detailauflösung
um ein mehrfaches anwachsen ließen (die Auflösung des Lichtmikroskops
ist abhängig von der Wellenlänge des verwendeten Lichtes).
Obwohl Fernrohr und Mikroskop eng miteinander verwandt sind, kann die
Erfindung des Mikroskops zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht zweifelsfrei
dargestellt werden. (1) Durch mehr als zwei Jahrhunderte bemühten
sich Wissenschafter, Liebhaber und Handwerker ein Gerät zu entwickeln,
das den Anforderungen einer über tausendfachen Vergrößerung
genügte.
Offenbar war die Kunst Steine oder Glas zu schleifen den Menschen schon
mehrere tausend Jahre bekannt, wie aus Funden in den Ruinen von Ninive
oder aus den Ausgrabungen in Troja belegt wurde. (2) In der umfangreichen
Literatur des klassischen Altertums findet man aber keine Hinweise für
die Benützung einer Linse zum Zwecke der Vergrößerung,
sondern nur als Brennglas zum Ausbrennen von Wunden. (3)
Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches versanken auch die Erkenntnisse
der antiken Naturwissenschaften in Europa. Erst die Araber entwickelten
die antiken Erkenntnisse weiter. Der Gelehrte Ibn Al Haitham, auch unter
dem Namen Alhazen (um 1000 n. Chr.) bekannt, kam in seinem Werk „Thesaurus
opticus“ dem Brechungsgesetz näher und gab eine gute anatomische
Beschreibung des Auges. (4) Er gilt auch als der Erfinder des „Lesesteines“
(Lupe).
Der Ausdruck „Microscopio“ befindet sich erstmals in dem Werk
„Apiarium ex frontispiciis naturalis...“ aus dem Jahre 1625
von den Italienern Francesco Stelluti (1577 – 1653) und Frederico
Cesi (1585 – 1630), die ihr „Zusammengesetztes Mikroskop“
von Galileo Galilei (Physiker und Astronom aus Pisa, 1564 – 1642)
geschenkt bekamen. (5) Dieses Mikroskop jedoch war möglicherweise
ein Nachbau eines Instruments von Cornelius Drebbel (Niederländer,
Astrologe und Erfinder am englischen Hof, 1572 – 1633), der nachweislich
1620 solche baute und von London aus einige nach Kontinentaleuropa sowie
Rom (1622/23) sandte. (6) Drebbel selbst beanspruchte jedoch nicht die
Erfindung des Mikroskops. Vielmehr nimmt die Fachwelt an, dass ein oder
mehrere unbekannte Praktiker um 1610 die wahren Erfinder waren. Die lange
Zeit überlieferten Erfinder Hans Martens und Zacharias Jansen, bekannt
als Vater und Sohn Jansen (7,8), kommen jedoch nach neueren Erkenntnissen
nicht in Frage. Maria Rooseboom, Kurator am Nationalmuseum für Geschichte
der Wissenschaften in Leiden, widerlegte 1967 in einer fundierten Arbeit
zur Geschichte des Mikroskops wohl entgültig die Legende von der
Erfindung dieses Instruments durch Vater und Sohn Jansen. Allerdings scheint
das nur ein kleiner Kreis von Fachleuten zur Kenntnis genommen zu haben
– man trennt sich nicht gerne von liebgewordenen Geschichten. (9)
Physikalisch hingegen muss festgehalten werden, dass das „Zusammengesetzte
Mikroskop“, das wahrscheinlich zuerst erfunden wurde – bei
diesem sind am unteren Ende eines Tubus eine Objektiv- bzw. am oberen
Ende eine Okularlinse montiert - bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts
dem „Einfachen Mikroskop“ (Lupe) unterlegen war. Ursachen
waren Schwierigkeiten bei der Zentrierung der Linsen und andererseits
in der nicht behobenen Chromasie sowie der verwendeten Materialien (Leder,
Holz, Pappe). Es darf daher nicht wundern, dass sehr bedeutende Mikroskopiker
der damaligen Zeit wie Anthony van Leeuvenhoek (Niederländer aus
Delft, Privatgelehrter, 1632 – 1723), Carlo Antonio Tortona (Italiener,
1640 – 1700) und andere dem einfachen Mikroskop den Vorzug gaben.
(10)
Die Entwicklung und die Fortschritte in der Medizin waren geradezu abhängig
von der Ausbildungsstufe des Instrumentes. Als Beispiel diene Marcello
Malpighis (Arzt und Anatom in Italien, 1628 – 1694) Beobachtungen
des Blutkreislaufes unter dem Mikroskop 1660. (11) Die Entdeckungen eines
Anthony van Leeuvenhoek – Protozoen, Querstreifung der Muskulatur,
Faserstruktur der Augenlinse, rote Blutkörperchen und Bakterien usw.
– die in letzter Zeit angeblich wegen des verwendeten Mikroskops
angezweifelt werden - , waren Höchstleistungen in dieser Zeit und
stellen - falls richtig – das Maximum der Leistung von einlinsigen
Geräten dar. (12)
Parallel dazu waren Forscher in Italien wie Galileo Galilei mit der Konstruktion
von Fernrohren und Mikroskopen befasst. Evangelista Torricelli (Professor
und Mathematiker aus Florenz, 1608 – 1647) benütze geschmolzene
Glaskugeln als Linsen. (13) René Descartes (Gelehrter und Philosoph
aus Frankreich, 1596 – 1650) versuchte sich mit Linsen und Hohlspiegeln.
(14) 1665 beschrieb Robert Hooke (Arzt und Physiker aus England, 1635
– 1703) sein zusammengesetztes Mikroskop für Auflichtuntersuchungen
(15) Carlo Antonio Tortona benützte erstmals das Mikroskop für
Durchlicht. (16)
Im 18. Jahrhundert war vor allem England durch die Kritik an der Leistung
der vorhandenen Geräte führend in der Entwicklung neuer Geräte.
Edmund Culpeper (Instrumentenbauer aus London, 1666 – 1738) und
John Cuff (Instrumentenbauer aus London, 1708 – 1772) bringen die
Gestalt der Mikroskope in die Nähe moderner Geräte. Vor allem
in der Stativ-Konstruktion gab es große Fortschritte (präzise
Scharfstellung, Einsatz von Messing). (17) Weitere Hersteller in England
waren Benjamin Martin (Instrumentenbauer aus London, 1704 – 1782),
Georg Adams der Ältere (Instrumentenbauer aus London, 1708 –
1773), und William und Samuel Jones (Instrumentenbauer aus London, um
1800).
Johann Nathanael Lieberkühn (Arzt aus Berlin, 1711 – 1756)
führte 1738 den nach ihm benannten Hohlspiegel für die Auflichtbeleuchtung
ein, wie ihn in ähnlicher Form 100 Jahre vorher schon Descartes verwendet
hatte. (18) Außerdem ist er der Erfinder des „Sonnenmikroskops“.
(19) Georg Friedrich Brander (Instrumentenbauer aus Augsburg, 1713 –
1783) und Johann Heinrich Tiedemann (Instrumentenbauer aus Stuttgart,
1742 – 1811) bauten in dieser Zeit (2. Hälfte des 18. Jahrhunderts)
in Deutschland fast gleiche Geräte (Typen nach John Cuff). (20)
Auch die französischen Hersteller lehnten sich stark an die Modelle
von Benjamin Martin an („Trommel-Mikroskope“). Niemand konnte
aber die Abbildungsgüte steigern, da die sphärische und chromatische
Abberation noch nicht behoben werden konnte.
Erst um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert brachten neue Forschungsergebnisse
eines Joseph v. Fraunhofer (Physiker und Optiker aus Deutschland, 1787
– 1826) (21), eines Joseph Jackson Lister (Engländer, kombinierte
mehrere achromatische Linsen zu einem System, 1786 – 1869) (22),
eines M. Selligue (Mechaniker aus Frankreich, um 1820) in Zusammenarbeit
mit Charles Chevalier (Instrumentenbauer aus Paris, 1804 – 1859)
einen Durchbruch in der Qualität des mikroskopischen Bildes. Erstmalig
wurde Kanadabalsam zum Verkitten der Linsenglieder verwendet. (23)
Dieser aufstrebenden Epoche gehören auch Hersteller wie Giovanni
Battista Amici (Instrumentenbauer und Optiker aus Florenz, baute die erste
„Wasserimmersion“, 1786 – 1863), Hugh Powell (Instrumentenbauer
aus England, 1799 – 1883), Simon Plössl (Instrumentenbauer
aus Wien, 1794 – 1868), Friedrich Wilhelm Schiek (Instrumentenbauer
aus Berlin, 1790 – 1870) und Georg Oberhaeuser (Instrumentenbauer
aus Paris, 1798 – 1868) an. (24)
Die Vorherrschaft englischer Geräte, die meistens noch durch „pröbeln“
hergestellt wurden, gingen mit der Vorausberechnung der Optik –
eingeführt durch Ernst Abbe (Mathematiker aus Deutschland, 1840 –
1905) - bei der Firma Carl Zeiss in Jena zu Ende. Die hervorragenden Leistungen
im Objektivbau waren jedoch nur durch die Zusammenarbeit mit Otto Schott
(Chemiker und Glastechnologe aus Deutschland, 1851 – 1935) möglich,
der diejenigen Glasschmelzen schuf, die Ernst Abbe für seine Objektive
benötigte. Unter anderem entwickelte dieser 1878 die erste „Homogene
Ölimmersion“ und 1886 die ersten apochromatischen Objektive.
Auch der Beleuchtungsapparat (Kondensor) wurde von ihm verbessert. (25)
Seit damals wurden viele Details am Gerät selbst immer weiter verbessert:
der Einstellmechanismus (Grob- und Feintrieb), der binokulare Einblick,
tiefliegende ergonomische Bedienungsräder, verschiedene Tischkonstruktionen,
umgekehrte Mikroskope für Metallurgie und Zellforschung (in vitro
Fertilisation, Dunkelfeldkondensoren in der Bakteriologie).
Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gaben neue Überlegungen zur Wellennatur
des Lichtes, sowie die immer noch nicht ganz befriedigte Suche nach mehr
und besserem Kontrast – vor allem bei der Lebendbeobachtung, der
Domäne der Lichtmikroskopie – Anlass für neue Darstellungsverfahren.
Erwähnt sei der Phasenkontrast (positiv und negativ) von Fritz Zernike
(Physiker aus den Niederlanden, 1888 –1966) (26), das Fluoreszenzverfahren
(Krebsdiagnose, Immunologie) der Firma Carl Reichert in Wien (27) sowie
der aus der Polarisations-Mikroskopie kommende Differentielle Interferenzkontrast
nach G. Nomarski (Physiker, um 1950). (28) Hans Boegehold (Mathematiker
aus Deutschland, 1876 – 1965) beseitigte die störende Bildfeldwölbung
bei Zeiss-Objektiven (Planachromate). (29) Bald darauf, um 1970, kamen
die Planapochromate, bei denen eine aufwendige Mehrschicht-vergütung
die inneren Reflexe beseitigt. Diese stellen heute das Optimum dar und
sind nach heutigen Erkenntnissen kaum noch zu verbessern.
Anmerkungen:
(1) Gloede, Wolfgang: „Vom Lesestein zum Elektronenmikroskop“,
VEB Verlag Technik, Berlin 1986, S. 16
(2) Gloede, Wolfgang: S. 10
(3) Gloede, Wolfgang: S. 11
(4) Gloede, Wolfgang: S. 12
(5) Gloede, Wolfgang: S. 15
(6) Gloede, Wolfgang: S. 239
(7) Gloede, Wolfgang: S. 239
(8) Martin de, Prof. Hubert & Waltraud: „Vier Jahrhunderte Mikroskop“,
Weilburg Verlag, Wiener Neustadt 1983, S. 19
(9) Gloede, Wolfgang: S. 16
(10) Martin H. & W.: S. 19
(11) Rooseboom, Maria: “Microscopium”, Leiden: National Museum
for the History of Science 1956, S. 56
(12) Beyer, Hermann: “Handbuch der Mikroskopie”, VEB Verlag
Technik,
Berlin 1973, S. 23
(13) Beyer, Hermann: S. 23
(14) Beyer, Hermann: S. 23
(15) Beyer, Hermann: S. 23
(16) Beyer, Hermann: S. 24
(17) Beyer, Hermann: S. 25
(18) Beyer, Hermann: S. 25
(19) Martin H. & W.: S. 55
(20) Martin H. & W.: S. 73
(21) Beyer, Hermann: S. 25
(22) Gloede, Wolfgang: S. 116
(23) Beyer, Hermann: S. 26
(24) Beyer, Hermann: S. 26
(25) Martin H. & W.: S. 148 ff
(26) Beyer, Hermann: S. 32
(27) Martin H. & W.: S. 143
(28) Beyer, Hermann: S. 33
(29) Beyer – Riesenberg: „Handbuch der Mikroskopie“,
VEB Verlag Technik, Berlin 1988, S. 22